Die Bettwurst Kopie
 

Die Bettwurst

Regie: Rosa von Praunheim

BRD 1971, 81 Min., Farbe, FSK: 16

Luzi und Dietmar lernen sich in der Hafenstadt Kiel kennen und lieben. Sie eine ältere, kleinbürgerliche Sekretärin, er ein junger Hilfsarbeiter aus Berlin. Beide spielen alle gutbürgerlichen Rituale durch, die sie durch Erziehung und Medien erlernt haben. Sie gehen zusammen in ein Ausflugslokal zum Tanz, sie zeigt ihm ihren Kleingarten und ihr Fotoalbum. Nach einer Liebesnacht hilft er ihr beim Staubsaugen. Sie feiern gemeinsam Weihnachten. Plötzlich treffen alte kriminelle Freunde von Dietmar ein und entführen Luzi, um Dietmar zu zwingen, wieder mit ihnen gemeinsame Sache zu machen...
Die Bettwurst Kopie
 

Die Bettwurst

Regie: Rosa von Praunheim

BRD 1971, 81 Min., Farbe, FSK: 16

Luzi und Dietmar lernen sich in der Hafenstadt Kiel kennen und lieben. Sie eine ältere, kleinbürgerliche Sekretärin, er ein junger Hilfsarbeiter aus Berlin. Beide spielen alle gutbürgerlichen Rituale durch, die sie durch Erziehung und Medien erlernt haben. Sie gehen zusammen in ein Ausflugslokal zum Tanz, sie zeigt ihm ihren Kleingarten und ihr Fotoalbum. Nach einer Liebesnacht hilft er ihr beim Staubsaugen. Sie feiern gemeinsam Weihnachten. Plötzlich treffen alte kriminelle Freunde von Dietmar ein und entführen Luzi, um Dietmar zu zwingen, wieder mit ihnen gemeinsame Sache zu machen...

Inhalt

Inhalt

Luzi und Dietmar lernen sich in der Hafenstadt Kiel kennen und lieben. Sie eine ältere, kleinbürgerliche Sekretärin, er ein junger Hilfsarbeiter aus Berlin. Beide spielen alle gutbürgerlichen Rituale durch, die sie durch Erziehung und Medien erlernt haben. Sie gehen zusammen in ein Ausflugslokal zum Tanz, sie zeigt ihm ihren Kleingarten und ihr Fotoalbum. Nach einer Liebesnacht hilft er ihr beim Staubsaugen. Sie feiern gemeinsam Weihnachten. Plötzlich treffen alte kriminelle Freunde von Dietmar ein und entführen Luzi, um Dietmar zu zwingen, wieder mit ihnen gemeinsame Sache zu machen...

Credits

Stabliste

Buch, Regie, Produktion Rosa von Praunheim

Kamera Rosa von Praunheim, Bernd Upnmoor

Schnitt Rosa von Praunheim, Gisela Bienert, Bernd Upnmoor

Ton Bernd Upnmoor

Musik Das schöne Mädchen von Seite 1 (Cafehaus-Kapelle) - Le sacre du printemps (Stravinski) - Roter Mohn - Ich küsse Ihre Hand, Madame

Produktion Rosa von Praunheim im Auftrag des ZDF

Drehzeit 10 Tage im Sommer 1970

Drehort Kiel

Format 16 mm, farbe (Ferrania)

Fernsehen Erstausstrahlung 02.02.1971 ZDF

Kinoerstaufführung 01.09.1971, Hamburger Filmschau

 

mit LUZI KRYN, DIETMAR KRACHT, STEVEN ADAMCZEWSKI

Pressestimmen

Pressestimmen

SEELISCH VERKÜMMERT

»In Deutschland«, schrieb der Berliner Filmemacher Holger Mischwitzky, 28, »wird jedes vielversprechende Talent vom Kulturbetrieb absorbiert.« Sein bestes Beispiel: Rosa von Praunheim.

Unter diesem Pseudonym dreht der in Riga geborene ehemalige Kunststudent, Ballett-Eleve und Galerie-Besitzer Mischwitzky seit drei Jahren Schmalfilme, mit denen er »persönliches Denken in gesellschaftliches Denken« überleiten will. Und die Gesellschaft greift zu:

Für den Praunheim-Film »Rosa Arbeiter auf Goldener Straße« hatte der Bund im Jahre 1969 eine »Kulturfilmprämie« parat, im gleichen Jahr waren die Praunheim-»Schwestern der Revolution« dem Mannheimer Filmfestival einen goldenen »Film-Dukaten« wert, und 1970 kamen die ersten Fernseh-Aufträge -- von ARD und ZDF zugleich.

Fürs Erste Programm konnte der durch privaten Kontakt mit dem Milieu vertraute Regisseur einen »Schwulenfilm« (von Praunheim) herstellen, der jedoch erst im September auf den Bildschirm kommt. Programmatischer Titel: »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«. Schon am Dienstag dieser Woche dagegen hat »eine humoristische Dialektik« von Praunheims ihre ZDF-Premiere (22.45 Uhr, Farbe), in der 70 Minuten lang eine banal-erotische Zweierbeziehung von Laiendarstellern aus dem Stegreif abgehandelt wird -- »Die Bettwurst«.

Bettwurst, das ist -- so die Programmankündigung -- »der zärtliche Ausdruck für eine kleine Nackenrolle, die Luzi ihrem Dietmar zur ersten gemeinsamen Weihnacht schenkte«. Getroffen hat Luzi (Luzi Kryn), eine dralle, ledige Enddreißigerin, ihren arbeitslosen Dietmar (Dietmar Kracht), der nach tristen Jugendjahren auch schon in Frankfurt »bei leichten Mädchen Trost gesucht und manchmal bei schweren Jungs geschlafen« hat, in Kiel, wo sich die Liebesgeschichte zunächst ganz alltäglich entwickelt.

Die beiden gehen gemeinsam spazieren und zum Tanztee, dann in Luzis gepflegte Kleinbürgerwohnung und schließlich ins Bett. Dietmar hilft beim Staubsaugen, sucht sich einen Job, und nach dem »schönsten Weihnachten, wo ich je erlebt habe« (Dietmar) -- Luzi schenkt die Bettwurst« Dietmar ein glutäugiges Frauenporträt aus dem Kaufhaus -, wird auf der Stelle Verlobung gefeiert.

Daß die Glückskinder schließlich auch noch in die weite Welt und in eine »Gemeinschaft von Vielen« (von Praunheim) flüchten müssen -- diese Utopie verdanken sie einem Regie-Einfall, mit dem Praunheim zugleich dem alten Hollywood-Kino seine Reverenz erweist: Unverhofft melden sich die »schweren Jungs« aus Dietmars Vergangenheit und entführen Luzi an den Strand. Doch der wütende Dietmar, der plötzlich »Macbeth«-Verse keucht ("Ist das ein Dolch, was ich vor mir erblicke?"), holt die Kidnapper ein, legt einen Gangster um und rettet sich klagend -- » Oh, was habe ich nur getan!« -- mit Luzi in ein startbereites Flugzeug.

So grotesk und unterhaltsam von Praunheims Trivial-Handlung auf dem Bildschirm erscheint -- die »Bettwurst« hat dennoch die Qualitäten eines seriösen, wohldurchdachten Soziogramms. Denn dieser ohne Drehbuch in zehn Tagen aufgenommene Film will vor allem als dokumentarisches Zustandsbild der beiden Hauptdarsteller verstanden sein. In ihren oft ungelenken Dialog-Improvisationen, Balz-Arien ("Ich liebe dich unwahrscheinlich") und Alltagsgewohnheiten ("Bei mir herrscht Ordnung"> enthüllen sie jederzeit, was auch der Filmemacher in ihnen sieht: Sie sind leidende, durch ihre Lebensumstände seelisch verkümmerte Existenzen.

Brauchbare »Zusatzinformationen« (von Praunheim) über die Protagonisten liefert sogar der gekünstelte, gar nicht mehr dokumentarische Schluß: Dietmar stilisiert seine Rächer-Rolle pathetisch zum tragischen Helden, die vitale Luzi behält auch in gespielter Todesnot ihren gleichmütigen, unerschütterlichen Tonfall bei.

Rosa von Praunheim, der seinen Film auch als »Ergebnis meiner Beziehungen zu den Hauptpersonen« rechtfertigen kann -- Luzi ist seine Tante. Dietmar hat ein Jahr bei ihm gelebt -, hofft überdies, daß sich viele Zuschauer in der »Bettwurst« wiedererkennen und »erfahren, wie lustig unsere eigene Dummheit ist«.

Von Dummheit soll auch Praunheims schon abgedrehter ARD-Film handeln, mit dem er »gegen Spießer und Schwule gleichermaßen aggressiv« In Dokumentar- und Spielszenen für die »Emanzipation der Homosexuellen« zu Felde ziehen will. Dann folgt (Drehbeginn dieses Frühjahr In Cornwall) eine filmische »Macbeth«-Version fürs ZDF, dann (Arbeitstitel »Tagebuch in Rosa") ein ebenfalls von Mainz finanzierter »Weltreisefilm«. Danach: Vollendung des schon begonnenen Film-Bekenntnisses »Zweierbeziehungen sind schädlich« und eventuell ein Buch zum ARD-Film.

Und dann? Rosa von Praunheim-Mischwitzky, einer der ehrlichsten Nachwuchsfilmer in Deutschland, hat Angst davor, vom Kulturbetrieb auch noch völlig absorbiert und ein Profi zu werden: »Wenn einer erfolgreich ist«, sagt er, »dann passiert nichts mehr.« Also wird er nach den nächsten Projekten »eine lange Pause oder mal was ganz anderes machen«.

DER SPIEGEL, 1971

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DIE BETTWURST

Ein Antifilm, ein Film (mit dem ergänzenden Titel "Eine humoristische Dialektik"), der alle gängigen Filmverhaltensweisen auf den Kopf stellt, der konsequent alle Heldenklischees des durchschnittlichen Gebrauchsfilms ins Gegenteil verkehrt: Hier werden keine Helden, nicht einmal Prototypen vorgestellt, sondern zwei Leute, die weniger als durchschnittlich, eher dumm und häßlich sind. Mithin nach allen Filmerfahrungen etwas, was für gewöhnlich die Leute aus dem Kino treibt, oder – da dieser Streifen im Fernsehen erstaufgeführt wurde – zum Abschalten des TV-Gerätes veranlaßt. Doch dieses seltsame Paar, das nicht einmal im Negativen – etwa im Sinn von interessant abstoßend – attraktiv ist, vermag Mitgefühl zu wecken. 

Da artikulieren sich in primitiver Sprache, mit kreischendem, dialektverschobenem Tonfall ein gehemmter junger Mann und ein halb verwelktes, körperlich unproportioniertes Mädchen. Sie lernen sich kennen, lieben sich und schenken sich anläßlich ihrer ersten gemeinsamen Weihnachten eine kleine Nackenrolle, die sie "Bettwurst" nennen, und finden das alles wunderbar. Und dieser Film – balancierend zwischen Groteske, komischer Nummer und anrührendem Schicksal – hat eine merkwürdige Bannkraft: Die film-ungewöhnlichen Protagonisten, die Anti-Helden mit ihren treffend wiedergegebenen Klein-Leute-Dialogen nehmen sich in der Tat fesselnd aus – von ähnlich film-ungewöhnlicher Neuheit wie authentische Volks-Typen in amerikanischen Underground-Filmen. 

A.W., Film-Beobachter, Nr. 7, 13.02.1971 

 

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DIE BETTWURST

An der schönen Kieler Förde lernen sich Luzi und Dietmar kennen. Das Liebespaar ist ungleich: sie ist eine üppige Sekretärin in den besten Jahren, er ein Hilfsarbeiter aus Berlin, jung noch und schon mit krimineller Vergangenheit. Dem ungleichen Paar steht die kleinbürgerliche Welt offen. Selig genießen sie die Wonnen des »beliebten Ausflugsorts mit Tanz«, und zu den Klängen der Hammondorgel (»Das schöne Mädchen von Seite 1, das will ich haben und weiter keins«) probieren sie einen Tanz inmitten der Rentner und Hausfrauen und in Gesellschaft eines dreijährigen Mädchens, das die großen Ereignisse mitgenießt. Stolz führt Luzi ihrem neuen Freund den Schrebergarten vor. Das alte Plumsklo hat sie, sehr praktisch, in einen Geräteschuppen umgerüstet. Der Weihnachtsbaum ist noch nicht angewachsen und muß gegossen werden. Und dann verschweigt sie auch die Sorgen nicht: die Grasaussaat will nicht aufgehen. Doch Struppilein verscheucht die bösen Gedanken. Brav gibt er Frauchen die Hand, und schon guckt Luzi triumphierend in die Kamera. - Luzi ist stark und strahlend. Alles wendet sich ihr zum Guten. In ihrer tipptopp aufgeräumten Wohnung zeigt sie dem Geliebten die Fotoalben. Muttchen im Sarge! Luzi betend davor! Das Klischee beseitigt alle Probleme. Die Liebesnacht kann beginnen. Unterm von innen beleuchteten Jesusbild räkelt Luzi sich in rosa Reizwäsche. Luzi: »Dietmar ich liebe dich, ich liebe dich.« Dietmar: »Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich will immer, daß du bei mir bleiben sollst. Es muß immer so bleiben wie heute. Luzi, du bist die erste Frau -« Luzi: »Ich liebe dich.« Dietmar: »- die ich so liebe.« Luzi: »Ich liebe dich.«Dietmar: »Die erste Frau, deine Haare und alles, deinen Busen und alles.« - Aber bittere Vergangenheit schleicht sich ein. Dietmar: »Die Leute haben zu mir gesagt: >Hitler hat vergessen, dich zu vergasen.<« Luzi zückt den Lippenstift und findet sowohl Trost als auch das richtige Wort: »Ist ja furchtbar.« - Einem Duschbad folgt die Einweihung in die Rituale des Staubsaugens. Luzi: »Dieser Teil ist zum Klopfen, dieser zum Bürsten, dieser, um Rillen und Ritzen sauber zu machen, dieser für den Boden.« Dietmar setzt das Gerät in Tätigkeit und trällert: »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn.« Und schon ist alles sauber für den geschmückten Tannenbaum. Dietmar packt sein Geschenk aus: »Oh, eine Bettwurst, die habe ich mir schon immer gewünscht. So eine schöne Bettwurst, ich danke dir, Luzi. Du bist so gut zu mir.« Die Kamera zoomt ziemlich ruckend auf die Weihnachtsbaumspitze, und dann ist Schluß mit der Abbildung der Kleinbürgerklischees (oder besser: mit der Anweisung, sich ihrer zum eigenen und fremden Vergnügen zu bedienen). Was folgt, ist ein Medienklischee. Die action kommt. Praunheim bedient sich der Rituale des Kinothrillers. Kriminelle Exfreunde (darunter Steven Adamczewski) entführen Luzi und würgen sie. Krimimusik. Nahtlos fügt sich das Klischee des Großen Theaters ein. Stockend aber passend memoriert Dietmar Shakespeares Macbeth: »Ist das ein Dolch, was ich vor mir erblicke, den Griff mir zugekehrt. Oder bist du nur ein Dolch der Einbildung?« Letzteres scheint der Fall zu sein. Denn das Bild zeigt, wie er eine Pistole aus der Schublade kramt. In einer dramatischen action-Szene erschießt er die Gangster an den Strandbuhnen und entflieht mit der geretteten Geliebten über eine Jungviehweide zum Privatflugplatz. Das happy end ist die logische Folge. In der letzten, langen Einstellung zieht jemand das einmotorige Flugzeug aus der Einstellung, und das Bild bleibt leer. Das Klischee lädt zur nächsten Besetzung ein.

Praunheim hat den Film zehn ganze Tage lang für 50 000 Mark ZDF-Geld gedreht. Besetzt hat er die Rollen mit der Tochter der Schwester seines Großvaters väterlicherseits, nämlich mit Lucy (um die korrekte Schreibweise zu notieren) Kryn, sowie mit seinem Freund Dietmar Kracht. Die 16 mm-Arriflex-Pilottonkamera war vom Kameraassistenten Bernd Upnmoor organisiert, der auch den Ton machte. Die Drei-Minuten-Rollen wurden jeweils in einem Stück gedreht. Das gab Luzi und Dietmar Zeit, sich ein- und auszuspielen - und doch nicht Zeit genug. Praunheim berichtet vom Gefühl der beiden, im Film nicht richtig zu Wort gekommen zu sein.

Beide spielen sich selbst, das heißt sie treiben sich im Film (mittels des Films) ins äußerste. Luzi, nach dem Krieg aus Zoppot ausgewandert, reüssierte an der kieler Universitätsklinik als Sekretärin. Dietmar, von Stiefeltern und Heimerziehern terrorisiert, fand im kriminellen Milieu Trost. Der BETTWURST-Film, schon länger geplant, hatte sich verzögert, weil Dietmar, auf der Flucht vor der Schwester eines Freiers, beim Sprung aus dem 1. Stock eines Hauses beide Arme und Beine brach.

Gedreht hat Praunheim den Film in der kieler Wohnung seiner Tante. An der Ausstattung brauchte er nichts zu ändern. Auch nichts an den Dialogen, die Luzi und Dietmar vor der Kamera improvisierten. Der Film ist (bis auf den Thriller-Schluß) authentisch. Man könnte ihn einen Dokumentarfilm nennen. Und doch ist er ein solcher nicht. Denn allzu ostentativ und kokett-naiv spielen die Darsteller ihre eigenen Rollen. Luzis Blicke in die Kamera verderben das Dokument. Sie gibt sich nicht als Objekt her.

Der Verstoß gegen die heilige Regel der Filmaufnahme (Nicht in die Kamera gucken!) verstört und betört den Zuschauer gleichermaßen. Die Direktheit des Augenkontakts ist ästhetisch nicht vermittelbar, etwa als geplante Provokation. Zu offensichtlich ist, daß den Hauptdarstellern dergleichen nicht in den Sinn kommt. Die Kamera ist ihnen lediglich Stimulanz, sich zu entfalten. Die Aufnahmetechnik ist ihnen dienlich, nicht uns. Keine Frage, daß sie nicht vorhaben, sich unseren Erwartungen anzupassen. Da sie ihre eigene Rolle spielen, ist ihnen die Rolle, die sie für andere spielen, schnuppe.

Grade durch diese Nicht-Anpassung wird jedoch das Medium selbst bewußt - und die Rolle, die der Zuschauer innerhalb der Klischees spielt, in denen er sich selbst befindet. Die BETTWURST bietet ein nicht nur für das Jahr 1970 radikales Nicht-Anpassungs-Konzept. Während sich damals in der Kultur-Szene das Gegen-Klischee des Aussteigers entwickelte, der zur (klein-)bürgerlichen Ordnung auf Konfrontationskurs ging (wie man 1984 weiß: mit mäßigem Erfolg), schlugen die BETTWURST-Darsteller einen anderen Kurs ein. Die Fahrt ging durch die Klischees hindurch, nicht von ihnen weg. Die Inbesitznahme und Intensivierung der Konsumwelt der 70er Jahre traf den Spießer ins Mark. Die unverschämte Privatisierung der schönen Dinge dieser Welt (von Woolworth bis Hertie) zeugte von einer Position der Stärke. Das, vielleicht, ist das Geheimnis des BETTWURST-Erfolges. Während 1970 die nichtangepaßten Aussteiger die Position der Angst einnahmen, sich bürokratisch genau abgrenzten und ein unersättliches Legitimationsbedürfnis entwickelten, zeigen Luzi und Dietmar Mut und beziehen alle Dinge ein: von Hitlers Judenvergasung über Shakespeares Macbeth-Monolog (Dietmar hatte die Rolle für den MACBETH-Film gelernt, aber er sprang, wie gesagt, aus dem 1. Stock) bis zur rosa Reizwäsche. Und es gibt keinerlei Anlaß, dafür Strategien zu entwickeln.

Praunheim stimmt sich ihnen ein, indem er im Schlußteil des Films seinerseits vormacht, was es heißt, von einem Medienklischee wie dem action-Film Besitz zu ergreifen. DIE BETTWURST reizt zur Nachahmung. Sie macht Mut und appelliert - unausgesprochen - an Minderheiten, an Praunheim »als Schwulen, Künstler und schöpferischen Menschen«, an die Frau (Luzi), an den Asozialen (Dietmar) und an alle anderen. Das Programm ist human und einfach, und wenn es nicht zu bürgerlich-begrifflich klänge, müßte man es ein Minderheitenprogramm nennen.

Das Spezifische dieses Konzepts ist jedoch, daß BETTWURST-Darsteller und -Regisseur sich nicht in Randschichten, gar den Underground abdrängen lassen, sondern fröhlich und zentral durch die Mitte des Bürgerlichen gehen. Luzi Kryn läßt sich noch heute in Kiel als Star (und nicht als Super-Star) feiern. Dietmar Kracht ist durch den Film mit Erfolg den Zwängen und der Repression im kriminellen Milieu entfremdet worden (sagt jedenfalls Rosa von Praunheim). Während des Films ist mit den Augen zu sehen und mit den Ohren zu hören, daß die beiden Hauptdarsteller die Filmaufnahmen für sich auszubeuten wußten.

Es würde nicht erstaunen, wenn die Repräsentanten der Mitte das Konzept des Films als Unverschämtheit empfanden. Als »grausam« und »peinlich« empfand ihn in der Tat der berliner Tagesspiegel. Doch davon abgesehen, stieß der Film, der die politischen Barrieren abgeschafft hatte, auf freudige Zustimmung in allen Presselagern, gerade auch auf der Rechten. Das Springer-Blatt Funkuhr jubelte nach der ersten Fernsehsendung: »Für Millionen ein Lachschlager« und forderte eine Wiederholung für die 20-Uhr-Zeit (Sendezeit war 22.45 Uhr gewesen). »Auch das nicht-kommerzielle Kino hat seine Meister, ihr größter in Deutschland: Rosa von Praunheim«, stimmte die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung ein. In der Süddeutschen Zeitung fand Günther Pflaum im BETTWURST-Film dagegen Soziologisches, nämlich »eher das Protokoll der Verkümmerung sozial unterprivilegierter Menschen durch ihre Lebensbedingungen«, während Film + Fernsehen Pädagogisch-Ästhetisches entdeckte: »Wie Form frei macht«.

Breitenwirkung hatte DIE BETTWURST. Günter Herburger leitete daraus in einem Brief an Praunheim, geschrieben am Tag nach der Sendung, den Wunsch ab nach »noch vieler solcher >Filme für Kioske<. Ich meine, man sollte sie wie Heftchen an Kiosken kaufen können.« Wenige Stunden nach der Sendung hatten Peter Lilienthal und sein Freund Ingo in einem Telegramm an Rosa von Praunheim die allgemeine Meinung formuliert: »Wir umarmen dich!«

filmzentrale.de, Dietrich Kuhlbrodt

 

Biografie

Biografie

Rosa von Praunheim wurde 1942 in Riga, Lettland, als Holger Mischwitzky geboren. Aufgewachsen in der DDR am Rande von Berlin in Teltow-Seehof. 1953 mussten die Eltern flüchten und siedelten sich über Umwegen in Frankfurt am Main an, wo wir im Stadtteil Praunheim wohnten. Auf dem humanistischen Wöhlergymnasium machte ich meine erste Theaterinszenierung in lateinischer Sprache. Durch den häufigen Schulwechsel brachte ich es aber nicht weit und verließ vor der Mittleren Reife die Schule, wechselte zur Kunstschule Offenbach für ein Jahr. Dann wurde ich auf der Hochschule für bildende Künstle Berlin in die Abteilung Freie Malerei aufgenommen. Hier studierte ich Anfang der sechziger Jahre, ging aber vor einem Abschluss ab. 1967 entstand mein erstes Buch und auch mein erster Kurzfilm Von Rosa von Praunheim. Durch den Verkauf des Films an den Hessischen Rundfunk konnte ich weitere Filme produzieren. 1968 bekam ich für meinen zweiten Kurzfilm Rosa Arbeiter auf goldener Straße Preise und wurde schnell bekannt. 1970 drehte ich drei größere Filme, darunter Die Bettwurst, die bis heute ein Kultfilm ist und Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt, mit dem ich die neue deutsche Schwulenbewegung mitbegründete. Durch den Skandal, den dieser Film auslöste wurde ich berühmt und berüchtigt. Bis heute habe ich über 70 Filme gedreht.

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BIELEFELD

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